La Spezia
La Spezia ist das häßliche Entlein der Riviera di Levante. Allerdings erweckt der Begriff ‘Entlein’ einen falschen Eindruck: Die Industrie- und Hafenstadt, das zweite Zentrum Liguriens nach Genua, hat immerhin 95000 Einwohner. Idylle sucht man hier vergebens. Nüchterne Zweckbauten bestimmen das Stadtbild; vom mittelalterlichen Kern ist - im Unterschied zu den meisten anderen italienischen Orten - kaum etwas geblieben. Bis ins 19. Jahrhundert war La Spezia fast bedeutungslos. Das änderte sich, als Napoleon die strategisch optimale Position des Hafens erkannte. Ab 1808 wurde La Spezia - zunächst unter der französischen Besatzung, später von den Italienern - zum Militärhafen ausgebaut. Im Golf von La Spezia bildete sich ein militärisch-industrieller Komplex von Werften und Waffenfabriken, Produktionsstätten für Unterwasserkabel und Metallverarbeitung, Textilmanufakturen und mechanische Werkstätten. Bis heute ist La Spezia eine Soldaten- und Arbeiterstadt geblieben - kein Ort für die Verwirklichung touristischer Italien-Träume.
Erfreulicherweise hat sich die Stadtverwaltung in den letzten Jahren spürbar um mehr Lebensqualität bemüht. Die Fußgängerzone wurde ausgeweitet, große Teile des Zentrums sind jetzt autofrei. Man kann gemütlich zwischen Geschäften und Bars herumschlendern und nach den Traumlandschaften der Küste ein wenig städtische Alltagsrealität schnuppern. Die hat durchaus ihren Reiz.
Der große Lebensmittelmarkt an der Piazza Cavour (vormittags bis 13 Uhr, außer sonntags) beispielsweise ist ein Paradies für Selbstversorger mit Riesen-Angebot an frischem Fisch, Käse, Obst, Gemüse, in der Saison Steinpilzen. Zum Einkaufen ist La Spezia ohnehin günstig; die Stadt ohne jeden Hauch von Schickeria bietet generell milde Preise.
Außerdem schießen seit einigen Jahren in La Spezia die Museen gleichsam aus dem Boden. Den Anfang machte das 1996 eröffnete Museo Amedeo Lia in der zentralen Via del Prione 234 (geöffnet täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr). Die Story seiner Entstehung wirkt geradezu kitschig: Der Industrielle Amedeo Lia sammelte ein halbes Jahrhundert lang Kunstwerke und brachte im Lauf der Zeit etwa 200 Gemälde und fast 1000 weitere wertvolle Objekte zusammen. Mit 83 Jahren beschloß er, seine Kollektion (geschätzter Wert damals: rund 50 Millionen Euro) der Stadt zu schenken. Einzige Bedingung: Binnen eines Jahres mußte ein Museumsgebäude bereitstehen. Als der Bürgermeister von La Spezia die Sammlung - von der außer wenigen Eingeweihten niemand etwas wußte - zu Gesicht bekam, wurde er nach eigenem Bekunden "fast ohnmächtig". Unter den Gemälden sind bedeutende toskanische Bilder des 14. und 15. Jhdts., venezianische Meisterwerke wie Giovanni Bellinis 'Geburt Christi', Tizians 'Bildnis eines Edelmanns', Tintorettos 'Kreuzabnahme', Sebastiano del Piombos 'Geburt des Adonis', außerdem ein von manchen Kunsthistorikern Raffael zugeschriebener 'Hl. Martin und der Bettler'. Daneben zeigt das Museum unter anderem wertvolle mittelalterliche Elfenbeinarbeiten und Handschriften, liturgisches Gerät, Marmorskulpturen, venezianische Gläser, zahlreiche Renaissance- und Barockbronzen. Um die Bedingung des Stifters zu erfüllen, ließ die Stadtverwaltung im Eilverfahren ein ehemaliges Franziskanerkloster renovieren. Lia wußte, was er tat: Hätte er keinen Druck ausgeübt, so wären wie anderswo in Italien vermutlich Jahre oder Jahrzehnte vergangen, bis das Museum seine Tore geöffnet hätte. Der alte Industrielle aber wollte es noch zu Lebzeiten sehen: "Das ist kein Geschenk für die Stadt. Es ist ein Geschenk an mich selbst", behauptet er. La Spezia - bis dahin abseits aller touristischen Besichtigungsrouten - hatte auf einmal eine Attraktion ersten Ranges für Kunstliebhaber.
Das Beispiel des größzügigen Mäzens hat Schule gemacht. Als nächstes entstand, ebenfalls aus einer privaten Schenkung, das originelle Siegelmuseum mit der angeblich weltweit größten Sammlung von Siegeln und Stempeln (Museo del Sigillo, Palazzina delle Arti, Via del Prione 236, Di 16.30-19.30, Mi-So 10-12.30, 16.30-19.30 Uhr). Unter den mehr als 1500 Exponaten des Museums sind Objekte aus sechs Jahrtausenden, vom antiken Mesopotamien bis zum Jugendstil. Das hört sich gigantisch an, aber die Gegenstände sind ausnahmslos winzig klein, sie passen in wenige Räume.
Die Bestände des 2004 eröffneten CAMEC (Centro d’Arte Moderna e Contemporanea) bestehen ebenfalls zum größten Teil aus Stiftungen einheimischer Sammler. Das Museum zeigt Gemälde und Grafiken der Zeit seit 1950 (u.a. von Calder, Vasarely, Soto, Uecker, Mack, Burri), außerdem finden wechselnde Sonderausstellungen aktueller Kunst statt (Piazza Cesare Battisti 1, Di-Sa 10-13 und 15-19, So 11-19 Uhr).
Das Museo Archeologico in der Burg San Giorgio dagegen existiert schon seit Jahrzehnten. Es besitzt eine Sammlung der sogenannten 'Lunigiana-Stelen' - ungewöhnlicher Steinfiguren aus der Bronze- und Eisenzeit - sowie römische Skulpturen und Mosaiken (Via XXVII Marzo, Mi-Mo 9.30-12.30, 14-17, 8.Juni-30.Sept. tägl. 9.30-12.30, 17-20 Uhr).